Kinderförderprojekt "El Izote" El Salvador

Wir helfen Kindern!

Reisebericht El Salvador (Mai/Juni 2019)

Von Elisabeth Bentrup                  (Der Bericht als PDF zum Downloaden)

 

Regenzeit In El Salvador.

Es war nicht unser erster Besuch, aber wir waren zum ersten Mal während der Regenzeit da. Für uns hieß das, dass wir das Wetter überhaupt nicht einschätzen konnten. In einem wolkenlos tiefblauen Himmel türmten sich plötzlich wahre Wolkenberge auf, wie aus dem Nichts und dann fing es an, wie aus Eimer zu schütten. Gut, wenn man im Haus oder an einem anderen regensicheren Ort ist. Und so plötzlich wie der Regen kam, war er auch wieder vorbei und bei über 30° tagsüber sind Straßen und Plätze schnell wieder trocken. Der heftige Regen brachte so manche Planung durcheinander.

 

Erdbeben in El Salvador

„Am Donnerstagvormittag (30. Mai) hat sich ein starkes Erdbeben in El Salvador ereignet. Es erreichte nach vorläufigen des United States Geological Survey (USGS) Angaben Magnitude 6.6. Das Erdbeben ereignete sich einige Kilometer vor der Küste in einer Tiefe von etwa 80 Kilometern, wie das GFZ Potsdam lokalisierte, allerdings nur 60 Kilometer südlich der Hauptstadt San Salvador. Dadurch wurde die Intensität abgemildert, dennoch muss in weiten Teilen des Landes mit Schäden gerechnet werden. Besonders in San Salvador, wo der Großteil der Siedlungsflächen auf Ablagerungen umliegender Vulkane errichtet ist, waren die Erschütterungen stark zu spüren. Aus Teilen El Salvadors werden bereits Stromausfälle gemeldet. Auch Teile der Nachbarländer Guatemala und Honduras waren vom Erdbeben betroffen. Tsunami-Gefahr besteht nicht, jedoch könnte das Beben im gebirgigen Inland von El Salvador zu Erdrutschen führen.“ ( https://erdbebennews.de/2019/05/schweres-erdbeben-in-el-salvador)

Soweit die Nachricht in unseren Medien. Wenn man vor Ort auf einer Mauer sitzt und diese plötzlich zu wackeln anfängt, wenn die schwere Eisentür zum Eingang ins Projekt anfängt sich zu bewegen und Geräusche von sich gibt, wenn nachts um drei plötzlich das Bett zu „tanzen“ anfängt, dann ist einem ziemlich mulmig zu Mute, zumal man nie weiß, wann oder ob ein Nachbeben erfolgt.

Wir erlebten zwei Beben; eines davon erfolgte am Vormittag, als ca. 40 Kinder im Projekt waren. In Sekundenschnelle waren alle Kinder im Erdgeschoss, saßen am Boden, es wurde gezählt und dann begann das Warten. Einige Kinder weinten, andere saßen still, verängstigt da, und dann erlebte ich so etwas wie eine „Meisterstunde der Pädagogik oder der Psychologie oder von beidem. Isabel und ihrem Team gelang es in den weiteren 90 Minuten (bis alle Kinder abgeholt waren)1 auf magische Weise die Kinder zu beruhigen. Ich verstand nicht alles, aber es war eine Mischung aus singen, beten, Märchen erzählen und leise auf Fragen antworten.

1 Bei der Anmeldung verpflichten sich die Eltern, bei Erbeben ihre Kinder sofort abzuholen; nicht allen ist das aber möglich.

Für die meisten Kinder war es das erste Beben, das sie bewusst erlebten, denn das letzte Erdbeben gab es an unserem letzten Tag in El Salvador vor zwei Jahren (März 2017).

Das 2. Beben erfolgte eine Woche darauf, nachts um drei Uhr. Für das öffentliche Leben bedeutete dies, dass am nächsten Tag alle Schulen und öffentliche Einrichtungen geschlossen blieben; auch der von uns geplante Ausflug anlässlich des Tags der Familie musste ausfallen. Isabel Depaz meinte: „así es El Salvador, así es como vivimos: día a día.”

Wie wahr!

 

Leben in einer „colonia privada“

Unter „colonia privada“ versteht man ein eingemauertes Areal mit wenigen Eingangstoren, vor denen bewaffnete Wächter positioniert sind. Hinein kommt man nur, wenn man registriert ist oder seinen Personalausweis abgibt. Frau Depaz mietete vergangenes Jahr ein kleines Haus in einer solchen colonia privada, nachdem ihr Sohn Alejandro zweimal vor ihrem früheren Haus in Zacamil überfallen worden war. Die Täter nahmen ihm das Handy ab und forderten Hunderte von Dollars von Isabel (Schutzgelderpressung). Sie hatte das Geld nicht und verließ fluchtartig ihr Haus. Sie fanden in einer „colonia privada“ ein Objekt zu einem einigermaßen erschwinglichen Preis. Die colonia liegt 32km vom Arbeitsplatz in Montreal entfernt und der Preis dafür ist hoch: Jeden Tag eine Stunde Fahrt mit dem Auto hin zur Arbeitsstelle und am Abend wieder zurück (die Fahrt mit dem Bus würde 2 Stunden dauern). Eine Tankfüllung reicht eine Woche. Der Bus wäre natürlich viel billiger.

Miriam, die 2. Lehrerin, wohnt in der Nähe; so können sie sich auf dem gemeinsamen Weg zur Arbeit austauschen.

Bei starken Regenfällen kommt es vor, dass die Straßen überflutet sind. Dann kann der Weg auch 2 ½ Stunden dauern.

 

Montreal, Zacamil und Mejicanos

Mejicanos, im Norden von San Salvador gelegen, hat ca.160.000 Einwohner. Sie ist Sitz des Bürgermeisters. Die Stadt ist in 4 Kantone eingeteilt. Zacamil ist einer davon. Dort befinden sich viele Schulen, einige Kindergärten, Sportanlagen und große Geschäfte. Einige Buslinien durchqueren den Ort bzw. enden dort. Die Straßen sind sauber, es gibt Straßenlaternen, der Müll wird regelmäßig entsorgt. Prozentual haben die Bewohner deutlich mehr Geld als die Bewohner von Montreal.

Montreal ist ein Ortsteil von Zacamil. Die Straßen sind in einem deutlich schlechteren Zustand, es gibt keine Straßenbeleuchtung, Müllberge häufen sich, eine einzige Buslinie fährt den Ortsteil an und auch nur mit Kleinbussen, die ständig überfüllt sind (20 Personen quetschen sich oft hinein) Geschäfte gibt es nicht, nur kleine Verkaufsstände.

Man sagt sich: der Bürgermeister investiert natürlich in die Stadtteile, in denen mehr Steuergelder fließen.

 

Zusammenarbeit mit dem Bürgermeisteramt

Das Projekt El Izote wird vom Bürgermeister von Mejicanos unterstützt. Er verpflichtet sich, das Haus kostenlos zur Verfügung zu stellen, ebenso Wasser und Strom. Auch Reparaturen werden von seinen Mitarbeitern ausgeführt, sofern das Material vorher angeschafft wurde. Leider mussten wir erfahren, dass das Interesse an einem Gespräch mit uns nicht groß war. Der von Seiten des Amtes bestätigte Termin konnte kurzfristig nicht eingehalten werden.

 

Der Müll

Sie sind nicht zu übersehen, die vielen Müllberge an den Straßenrändern, an den steilen Hängen, vor den Hütten und Häusern. Und man sieht auch die Lastwagen der Müllabfuhr, die in regelmäßigen Abständen gegen die riesigen Berge von Plastiksäcken ankämpfen.

Warum funktioniert das Entsorgungssystem nicht.

Frau Depaz erklärte: In Montreal gibt es nur eine einzige Durchgangsstraße; diese wird auch von der Müllabfuhr angefahren. Die meisten Menschen wohnen aber in den vielen kleinen Seitenwegen, z. T. 20 Minuten zu Fuß von der Hauptstraße entfernt. Dort wird der Müll aber nicht abgeholt.

Frau Depaz startete im Mai eine Initiative – zusammen mit dem Kinder-Jugend-Sozialamt der Stadt Mejicanos. Es soll in regelmäßigen Abständen einen „cleaning for future - day“ geben.

 

Wohnen in Montreal

Die Mutter von zwei Kindern aus dem Projekt lud uns zu sich nach Hause ein. Begleitet wurden wir von einem städtischen Angestellten. Der ca. 20-minütige Fußweg führte uns durch viele enge Wege, leicht bergauf und bergab, gesäumt von Mülltüten. Vor einem Verschlag aus Blechen hielten wir. Hinter einer kleinen Türe führte ein Steinpfad zum Haus. Es bestand aus zwei Parteien, die mit Tüchern und Blechen voneinander abgegrenzt waren. Jede Partei hatte zwei Kammern, Wohnraum, Küche und Schlafraum in einander übergehend. Tische und Stühle gab es nicht, zwei Betten, einen Hocker für die Kochplatte, einen Fernseher. Hinter weiteren Tüchern war ein Waschplatz eingerichtet; die Toilette befand sich hinter einem Bretterverschlag. Einen Kühlschrank gab es nicht. Das Dach war aus Wellblech und undicht. „Wenn es regnet“ – so die Mutter – „schützen wir unsere Kinder mit einer Plastikfolie.“ In dem Doppelhaus wohnen sieben Personen. Und so wie sie leben sehr viele in Montreal.

 

Das Haus

Es ist hell, sehr sauber, aufgeräumt (vor die Kinder morgens um 7:45h kommen) und sehr bunt. Und es ist heiß! Im Laufe des letzten Jahres wurde immer wieder experimentiert, wie die Räumlichkeiten im 1. Stock am sinnvollsten genutzt werden könnten. Die kleine Bibliothek ist Rückzug-und Erholungsraum. Ein kleiner Ventilator sorgt für etwas Abkühlung. Die ursprüngliche Einteilung, je einen Raum rechts und links des großen Flures für die beiden Gruppen als Arbeitsräume zu nutzen, musste geändert werden. Im „salón Claudia“ (kein Fenster nach außen) war es unerträglich heiß, immer über 30°; auch ein Ventilator half nicht weiter. Sie wechselte mit ihrer Gruppe von18 Kindern in den zweiten Unterrichtsraum, der eine kleine Klimaanlage hat. Und Miriam arbeitet jetzt im Flur mit ihren 24 Kindern. Er ist zwar hell, aber ab 10h auch sehr heiß. Und Ventilatoren wälzen die heiße Luft nur um. Für sportliche Aktivitäten steht die Eingangshalle zur Verfügung; der Lärm dringt aber über das offene Treppenhaus in den Flur im ersten Stock.

Im ursprünglichen „salón Claudia“ wurde ein Materialraum eingerichtet und eine Ecke für Kleingruppenarbeit.

Der Garten ist sehr schön gestaltet, mit Spielen zum Hüpfen und sich bewegen. Er kann im Grunde aber nur morgens benutzt werden, da die beiden Bäume nur bedingt Schatten spenden. Es soll eine Anfrage beim Bürgermeister erfolgen, ob ein Sonnensegel angebracht werden kann.

Ich sehe noch viele „Baustellen“ im Haus: eine einzige Toilette für alle; die Küche ist ohne Wasseranschluss; viele Glas-Lamellen von den Fenstern sind zerbrochen; es gibt keinen Internetzugang, der würde monatlich 25 $ kosten; eine zweite Kochplatte würde das Kochen erleichtern.

ABER: Was am dringendsten benötigt wird ist eine Klimaanlage für den großen Flur und gleichzeitig Unterrichtsraum von Miriam!

 

Das Team

Seit vielen Jahren sind sie ein Team: Isabell Depaz, Miriam Rodas, Claudia Martinez; Isabel sagte: „Unser Team ist ein Glücksfall! Wir kennen uns seit vielen Jahren, arbeiten zusammen und unterstützen uns gegenseitig in allen Lebenslagen.“ So leisten Miriam und Claudia Mehrarbeit, damit Isabel nach Deutschland reisen konnte; Isabel und Miriam unterstützen Claudia in ihrer Weiterbildung als examinierte Psychologin. Und Miriam erhält Unterstützung als alleinerziehende Mutter durch Isabel.

Ein wahrer Glücksfall ist die 4. Mitarbeiterin: Doña Lucia3. Sie hat ein schnelles, waches Auge, sorgt dafür, dass morgens das Haus sauber ist, dass für alle Kinder ein Frühstück und ein Snack bereitstehen und dass stündlich die einzige Toilette für alle gereinigt wird.Sie ist die Mama von Claudia: Sie arbeitet von 7h bis 15h und ist für die Reinlichkeit der Räume und das Essen zuständig.


 

Ein Arbeitstag im Projekt

Ich beschränke mich auf das was wir erlebt haben. Wir wohnten in dem Haus von Isabel Depaz. Morgens um 6:30h machten wir uns den Weg, holten Miriam ab und reihten uns ein in die endlose Blechkarawane Richtung San Salvador und Mejicanos. Frühstück gab es im Project (z. B. gebratene Bananen, Bohnen, Eier, Brot, Kaffee), zubereitet von Doña Lucia.

Normalerweise kommen die Kinder ab 7:45h; viele Eltern suchen das Gespräch und bezahlen ihren monatlichen Beitrag (10 $ im Monat für den Vormittag, 15 $ für den ganzen Tag, für Geschwisterkinder ist es billiger)   

Nach der Morgenrunde im Stuhlkreis gibt es ein Frühstück für alle Kinder (in 2 Gruppen); dann beginnen die Arbeits-Spieleinheiten; je nach Witterung und Klima steht auch der Garten zur Verfügung. Am späten Vormittag wird noch eine Erfrischung ausgeteilt und bis 12h sollen die Kinder abgeholt sein. Einige wenige (Härtefälle) bleiben über Mittag.

In der Mittagspause wird entweder für das Personal gekocht (Nudeln, Reis, Bananen oder Bohnen) oder man isst, was von zu Hause mitgebracht wurde.

Um 13:15h kommen die Nachmittagskinder. In den drei Stunden soll es grundsätzlich ein breites Angebot geben: Leseförderung, Hausaufgabenbetreuung, Spielmöglichkeit für die Kleinen;

Um 16:00h endet der Tag für die Kinder; es erfolgen ein letztes Aufräumen und Absprachen für den nächsten Tag.

Je nach Verkehr dauert die Heimfahrt oft 1 ½ bis zwei Stunden.

 

Pädagogische Herausforderungen:

Die Arbeit mit den über 40 Kindern am Vormittag und den über 30 am Nachmittag ist tagtäglich eine große, pädagogische Herausforderung: für die Vielfältigkeit der unterschiedlichen Bedarfe gibt es – schlichtweg – nicht genügend Personal.

Die Schulkinder benötigen Hilfe bei den Hausaufgaben und gezielte Einzelförderung;

die jüngeren Kinder möchten spielen und gleichzeitig Ansprechpersonen haben;

die Eltern möchten regelmäßig Rückmeldung über die Lernfortschritte ihrer Sprösslinge erhalten und die Erzieherinnen sollen alles gleichzeitig bewerkstelligen.

So war es ein Teil unseres Besuchs, dem Team Rückmeldung über unsere Wahrnehmungen und Beobachtungen zu geben.

Das Hauptproblem für alle ist der hohe Lärmpegel. Er entsteht auch dadurch, dass die Kinder von Claudia immer durch den Raum von Miriam gehen müssen, wenn sie zur Toilette oder zum Turnen im Erdgeschoss gehen.

 

Folgende Überlegungen/ Regelungen wurden erarbeitet:

- Durch Schaffung kleiner Lerninseln (im Materialraum, in der Bibliothek, im Zwischenraum zum Garten (der Raum ist für die Essensausgabe und das Spülen vorgesehen) sollen Einzelarbeit oder Partnerarbeit ermöglicht werden;

- Das Team erarbeitet dazu geeignetes Material;

- Isabel nutzt ihren Besuch in Oberursel und Frankfurt, um sich kundig zu machen;

- Claudia arbeitet am Nachmittag mit einer kleinen Gruppe von Kindern, die besonders auffällig sind;

- Spielsachen, die Lärm verursachen, werden in den Gartenbereich gebracht

- die großen Tischeinheiten in beiden Räumen werden aufgelöst und durch neue Tische für jeweils drei Kinder ergänzt.

- die Eltern sollen verstärkt mit „ins Boot“ geholt werden. Dies soll in Einzelgesprächen und bei den Elternversammlungen geschehen.

 

Elternversammlung:

Sie findet normalerweise 5x im Jahr statt. Wiederkehrende Themen sind:

- Erziehung ohne Gewalt

- Ermutigung statt Strafe. (In vielen Familien werden die Kinder noch geschlagen; dies wird auch als „Züchtigungsmittel“ im Projekt erwartet.)

- Mitarbeit/ Unterstützung der Arbeit im Projekt (Eltern, die nicht zahlen können, können stundenweise im Projekt arbeiten (in der Küche, im Garten, beim Putzen)  

- Mangelnde Zahlungsmoral einiger Eltern (Das Defizit vom Jahr 2018 beträgt noch über 200$. Mit dem Elterngeld werden die Lebensmittel für das Frühstück und die Getränke bezahlt. )

- Aktuelle Themen: z. B. Vermeidung von Müll;

- Gesundes Essen

Auf Grund unseres Besuchs wurde zu einer zusätzlichen Versammlung eingeladen und 90% der Eltern kamen. Aktuelles Thema war das Verhalten bei Erdbeben und die ausstehenden Gelder der Eltern.

Zum Abschied erhielten wir viele Dankesbriefe von Eltern und Kindern, in denen zum Ausdruck kam, wie sehr unser Engagement hier in Deutschland geschätzt wird. Sie alle wissen, ohne unseren Verein und die vielen Einzelspenden gäbe es das Projekt nicht mehr.

Der Brief der Eltern von Erick Alejandro drückt aus, was wir vielfach erfahren durften: den Dank der Eltern und die große Wertschätzung der geleisteten Arbeit:

„Mit dem Brief möchten wir dem Ehepaar Bentrup für die große Unterstützung danken, die die Eltern und Kinder des Projektes El Izote erfahren! Unsere Kinder erhalten an diesem Platz eine ausgezeichnete Erziehung, Essen und die Möglichkeit, sich gut zu entwickeln. So erleben wir das bei unserem Sohn, der erhebliche Fortschritte im Lernen gemacht hat. Für dieses und noch viel mehr danken wir allen für Ihre selbstlose Hilfe zu Gunsten von El Izote, und das schon seit Jahren. Möge Gott es Ihnen vergelten!

Wolfgang und Elisabeth Bentrup Oberursel, 28. Juni 2019